Weh-Geh-Weh Willis Gastro Werkstatt Heute: Vierschänkentournee Teil 44: Tim Raue


Endlich greift mal einer durch! „Hylas und die Nymphen“ wurde abgehängt. In Manchester. Man glaubt es kaum, jahrelang sind Millionen von Besuchern achtlos an diesem ekelhaften Machwerk von John Williams Waterhouse vorbeigeschlurft und haben nicht bemerkt, dass es sich um eine widerwärtige Verherrlichung des Sexismus handelt. Zum Glück ist die Verwaltung der Manchester Art Gallery nun endlich wach geworden und hat das Ding abgeräumt. In Zeiten von MeToo eine Selbstverständlichkeit. Was ist schon Harvey Weinstein gegen ein 120 Jahre altes Bild mit nackten Nymphen?

Gut, sicher, wenn man das jetzt von der Warte eines mythologisch vorgebildeten Kunsthistorikers betrachtete, dann könnte man auf die Idee kommen, dass die Nacktheit der Nymphen keinen sexistischen Hintergrund habe. Vielleicht, so könnte dieser Kunstgeschichtler mutmaßen, ist es gar nicht so, dass der Maler wenige Minuten vor dem Beginn eines wüsten, frauenverachtenden Gangbangs auf den Auslöser seiner Staffelei gedrückt hätte. Vielleicht diente die Nacktheit der Nymphen in der formelhaften Bildsprache der Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts nur dazu, ihre Eigenschaft als Fabelwesen deutlich zu machen und sie von der der in Altgriechenland verbreitet auftretenden gemeinen Hominidin abzugrenzen, von der nicht tradiert wäre, dass sie bekleidungslos durch die Antike mäandert wäre. Zugegeben, klingt gar nicht unplausibel, der Kunsthistoriker. So ist das auch in Brehms Tierleben nachzulesen, wo die Abgrenzung zwischen Frau und Nymphe exakt an der Demarkationslinie der Bekleidungslosigkeit verläuft.

Aber mal ehrlich, Kunsthistoriker, wie naiv kann man sein? Überlassen wir die Analyse mal lieber den Kunsthysterikern, da kommen wir weiter. Und die haben schlagende Argumente. Wie viele Nymphen sind auf dem Bild zu sehen? Sieben, also fast sechs! Eine klare Anspielung auf Sexismus. Noch deutlich kann der Künstler kaum werden. Wo halten sich die Nymphen auf? In einem kleinen See. See und Sexismus, die gleichen Anfangsbuchstaben, aha! Dan Browns Robert Langdon wäre das viel zu profan, die Anspielungen sind überdeutlich. Hier handelt es sich um menschenverachtendste Pornografie.

Dass das Museum es überhaupt für nötig hielt, die viel zu spät erfolgte und dringend gebotene Säuberungsaktion zu begründen, ist blanker Hohn. Die Frau werde auf diesem Bild als jederzeit verfügbares Lustobjekt dargestellt. Jawollja! So ist es. Also jedenfalls wenn man nicht zu tief in die Geschichte von Hylas und die Nymphen hineingelesen hat. Weil Sachkenntnis ja manchmal schrecklich schädlich sein kann. Liest man doch genauer nach, dann findet man heraus, dass Hylas leitender Angestellter des Herakles gewesen ist. Genauer gesagt dessen Waffenträger. So eine Art Dirk Niebel der Antike also. Ob mit unbefristetem Arbeitsvertrag oder in einem sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnis ist leider nicht dokumentiert. Homer war schon ein arger Schlamper. Zumindest hatte Hylas viel Freizeit. Vielleicht hatte die Gewerkschaft ihm ein Anrecht auf Teilzeitbeschäftigung erstritten? Auch das ist in den Götter- und Heldensagen nicht festgehalten. Noch eine Schlamperei. Jedenfalls hielt sich dieser Hylas in seiner arbeitsfreien Zeit gerne an den Quellen der Pegae auf. Wo er eines Tages von den dort residierenden Quellnymphen gesichtet und stehenden Fußes in die Quelle gezerrt, entführt und vermutlich auch sexuell missbraucht worden ist. Genaueres weiß man nicht. Ein MeToo für Männer gibt es bis heute nicht und gab es damals schon gleich gar nicht – es sei denn, Homer hätte auch das verschwiegen.

Also, dear folks in Manchester, richtig, es ist übelster Sexismus, aber hier hat nicht der Mann die Frauen als Lustobjekte betrachtet, sondern war es umgekehrt. Eventuell ist sogar ein Tötungsdelikt im Spiel, denn von Hylas hat man nie wieder etwas gesehen, wenngleich einige der Heldensagenchronisten wissen wollen, dass er dem Charme einer der Nymphen erlegen und freiwillig bei ihr geblieben sein soll. Alternative Fakten, vermute ich, die das Delikt nur zu beschönigen trachten. Bei umgekehrter Geschlechterverteilung wäre das gefährlich nah am „Sie wollte es doch so“. In Wahrheit ist da nix mit Freiwilligkeit, der Mann muss entweder draufgegangen sein oder vielleicht ist er auch bis heute in einem Kellerverlies in der Steiermark eingeschlossen. Die Beweislage ist unklar. Aber zum Glück können Tötungs- und Freiheitsberaubungsdelikte außer Betracht bleiben, da die Justiz im Zeitalter der Political Correctness nur noch die wesentlich gravierenderen Sexismusdelikte zu betrachten hat.

Für die Vergewaltigungstheorie spricht auch, dass Hylas eine über das rein Professionelle hinausgehende Beziehung zu seinem Arbeitgeber Herakles gehabt haben soll. Ein früher Vorläufer der Monica Lewinsky, um mal gleich mit dem ganzen Zaun zu winken. So dass Hylas, der bis zu dem Vorfall mit den Nymphen noch nicht als beidseitig befahrbar in die Annalen eingegangen war, entweder seine sexuellen Vorlieben massiv geändert haben oder eben doch als Opfer der Quellenbewohnerinnen betrachtet werden muss. Und wie das beim Sexismus ist – im Zweifel gegen die Angeklagten, also hier die Nymphen. Es sei denn, Herakles hätte sich der Hylas-Rosette mit Gewalt bemächtigt. Dann wäre Herakles allerdings, ebenso wie der stets zudringliche und sexistische Zeus, aus den Neuauflagen der Götter- und Heldensagen zu entfernen.

Ein paar Fragen bleiben trotzdem noch. Zum einen ist unklar, woher die Machesterianer so genau wissen wollen, dass es sich um weibliche Nymphen und einen männlichen Hylas handelt. Höre ich da etwa den veralteten biologistischen Ansatz derer heraus, die noch nicht verinnerlicht haben, dass das Geschlecht lediglich ein soziales Konstrukt ist? Kann man diesem Hylas einfach unterstellen, dass er sich als Mann gefühlt hat? Zumal er nur Waffenträger war, insofern götter- und heldentechnisch eher „also starring“, kleine Nebenrolle, das galt im alten Griechenland nicht als sonderlich maskulin. Und wie können wir sicher sein, dass die Nymphen sich als weibliche Wesen verstanden haben? Selbst bei rein biologistischem Ansatz wäre dies gewagt, da ihre unteren Körperhälften aus allein vom Erschaffer dieses Machwerks zu vertretenden Gründen nicht zu sehen sind, im Wasser des Quellteiches verborgen bleiben. Wer weiß, welche Geschlechtsorgane die Nymphen dort so alles für Hylas bereithalten? Hier fehlt es der Museumsverwaltung erkennbar an Genderkompetenz. Ich fürchte, es wird mit einer fristlosen Entlassung der gesamten Führungsspitze des Museums nicht getan sein. Eine Haftstrafe, eventuell nach einigen Jahren zur Bewährung auszusetzen, erscheint angemessen. Auch ein Rücktritt der britischen Regierung gilt nicht mehr als unwahrscheinlich. Dem angesichts solcher Unglaublichkeiten eigentlich angezeigten Ausschluss des Verunreinigten Königreichs aus der Europäischen Union ist man dort ja schon freiwillig zuvorgekommen.

Zudem ist mir nicht verständlich, wie man beim Sexit aus der nackerten Kunst auf halber Strecke stehen bleiben kann. Abhängen, nun ja, das ist ein sehr spezialpräventiver Ansatz. Dieser eine Schandfleck der Kunstgeschichte wäre getilgt, am besten dauerhaft und publikumswirksam, etwa indem man eine öffentliche Verbrennung solcher Werke organisierte. Ein schöner Erfolg, doch ohne nachhaltige generalpräventive Wirkung. Es geht ja auch darum, die Wiederholung solcher Verfehlungen durch andere Künstler zu verhindern. Wäre es da nicht sinnvoll, wenn man dieses Skandaloeuvre und vergleichbare Ekelhaftigkeiten – ich denke nur an die „Geburt der Venus“ von Botticelli und den „Ursprung der Welt“ von Courbet – öffentlich in einer Werkschau als Verfehlungen geißelte? Das könnte man zum Beispiel „entartete Kunst“ nennen. Vielleicht sollte man in einer anderen Abteilung dieser Ausstellung dann auch Werke aufnehmen, die Schwarze zeigen? Weil das ja rassistisch ist. Was die Schwierigkeit aufwirft, wo wir Manets Olympia hinpacken, wo eine Nackte und eine Schwarze zu sehen sind. Vielleicht fragen wir mal einen Experten vom muslimischen Wächterrat im Iran, die kennen sich mit sowas ganz gut aus.

Wo sind eigentlich die britischen Liberalen, wenn es um so fundamentale Fragen geht? Wenn die Kunstfreiheit gegen Sexismusnazis zu verteidigen ist? Wahrscheinlich duckt UKIP sich irgendwo auf den Kontinent weg, solange wir sie noch hereinlassen. Was für die Briten den Vorteil hat, dass sie endlich mal wieder irgendwas ohne Minzsauce zwischen die Kiemen kriegen. Bei Tim Raue in Berlin zum Beispiel.

Aufatmen, die Kumst an den Raueschen Wänden zeigt keine Nymphen. Es sind nur teilweise gegenständliche Werke, eine Art Cross-Over aus Fotos und Malerei. Derzeit ist die Gegenstandslosigkeit ja noch vertretbar, ich nehme an, dass früher oder später nur noch Kunst zulässig sein wird, die gegenständliche, sexismusfeindliche Botschaften transportiert. Das schaffen bei Raue auch die asiatisch angehauchten Einrichtungsgegenstände nicht wirklich. Ein chinesischer Löwe am Eingang, eine Orchidee auf dem Tisch, dahinter ein blattloses japanisches Bäumchen mit Papierblüten. Ansonsten geht es eher unspektakulär zu, einfacher dunkler Boden, blaue Bänke an den Wänden, türkise und graue Sesselchen, Tische aus Naturholz. Irgendwo zwischen Asien und Kneipe, kein durchgängiger Stil, nur mittelelegant. Auch die Karte spricht asiatisch, Pekingente, Dim Sum, Wasabi, Soja, Yuzu, thailändischer Wasserspinat, chinesische Artischocke, fest jedes Gericht enthält mindestens ein Element aus Fernost.

Das Menü kann man sich in vier bis acht Gängen auftischen lassen, je nach Hunger schlägt das dann mit 138 bis 198 Euro zu Buche. Fair kalkulierte Champagner, die Grande Cuvee von Krug gibt es für 38 Euro das Glas, der Rosé von Laherte wird für 18 Euro ausgeschenkt und steht schon neben mir als die Amuses eintreffen. Ein ganzes Regiment, alle auf einmal, der Tisch ist kaum groß genug.


Als erstes widme ich mich dem Rettich mit rote Bete und Wasabi. Sehr fein austariert, die dezente Rettichschärfe balgt sich mit der Wasabischärfe um die Lufthoheit am Gaumen. Es geht unentschieden aus, weil nur ein Spürchen Wasabi verwendet wurde. Dann kommt die rote Bete und stellt ein Paketchen Frucht daneben, das harmoniert perfekt, ganz großes Kino, so unscheinbar die Rettichröschen auch aussehen mögen. Noch eine Spur grandioser fand ich den Schweinebauch mit Sesam und Chili. Weltklasse! Extrem zartes, feines Fleisch, nicht fett und dazu ein wunderbarer Akkord aus der leicht süßlichen Sesamwürze und einem leichten Schuss Chilischärfe. Sehr intensiv aber ausgesprochen harmonisch.


Deutlich simpler gestrickt und dennoch ein Hochgenuss: Pak Choi mit einem Hauch Chili. Irgendetwas Süßliches ist auch noch drin, es wirkt fast wie Honig, ich wollte eigentlich noch beim Maitre nachfragen, das ging in der Orgie von Amuse Bouches dann aber unter. Jedenfalls gaben sich Süße und Schärfe sehr freundschaftlich die Hand, begrüßten sich dabei aber leise genug, dass auch der Eigengeschmack des würzigen Kohls noch vernehmbar war. Begeistert haben mich sogar die Ingwer-Marshmellows. Marshmellows sind fast immer eine Enttäuschung, weil man die selten so richtig geschmacksintensiv hinbekommt und die Süße oft ziemlich vorsticht. Warum diese Dinger in der Spitzengastronomie so verbreitet sind, sollte mal wissenschaftlich untersucht werden, mir fehlt die Phantasie, es mir oder gar dem geneigten Leser zu erklären. Bei Raue zeigt die Küche immerhin, wie man es machen muss,

wenn es funktionieren soll. Es braucht ein Element von hinreichender Schärfe, um die Süße und die Langeweile des Schaumzeugs einzugerüsten. Ingwer kann das. Wieder ergibt sich ein interessantes Spiel von Schärfe, Süße und Frucht. Kräftig und sehr gut dosiert. Das gelingt auch bei der Papaya mit Zwiebelconfit. Eine wahre Orgie von erdiger Zwiebelwürze und süßlicher Frucht. Eine köstliche Komposition, die ich so noch nirgendwo zwischen meine stets hungrigen Igelkiefer bekommen hatte. Nicht wirklich begeistert hat mich dagegen die Makrele mit Yuzu, nett, nicht spektakulär, irgendwie stehen die beiden Komponenten ein wenig nebeneinander, das passiert nichts auf dem Teller.


Gurke und Röstknoblauch hingegen vertrugen sich gut. Die kleinen Flocken von Knofel auf leicht marinierten größeren Gurkenstückchen waren gerade richtig dimensioniert, um nicht zu dominieren und trotzdem einen ordentlichen Schlag Würze beizugeben. Schmackhaft, für Sterneküche eigentlich eine Spur zu simpel, aber mit Freude zu essen. Genau wie die köstlichen Cashews mit Würzpuder. Eigentlich ein Barsnack. Meinen Roséchampagner haben sie aber brav gestreichelt, deswegen habe ich sie mit Freude restlos aufgefuttert.

Insgesamt ein superber Auftakt, perfekte Würzungen, exzellente Harmonien, zwischendrin auch mal ein paar einfachere Dinge, diese aber gut gemacht, bis hierhin sind die zwei Sterne allemal verdient. Ein Lob bekommt auch die Weinkarte, zumeist erträglich Koeffizienten, gute Auswahl, gefällt mir.


Als erster Gang aus dem Menü wird Rosenkohl serviert. Drei Röschen, gefüllt mit Püree von Rosenkohl und Banane, dazu drei Kleckse Rosenkohlpüree, auf das jeweils etwas Bananenmark getupft und als Schlussstein ob eine Rösterdnuss gesetzt worden ist. Ein wenig Saft von Kaffirlimette ist angegossen, der so scharf ist, dass wohl auch noch etwas Chiliöl Verwendung gefunden hat. Nimmt man nur die Rösenkohlröschen, schmeckt die Banane etwas breiig-süß vor. Packt man die Limette und eine Nuss hinzu, kommen Säure und Schärfe als Counterpart hinzu, außerdem das Mehlige, Buttrige, Röstige der Erdnüsse. So ergibt sich ein ausgesprochen balanciertes Gesamtkunstwerk. Dennoch – und hier greife ich auch schon ein wenig auf größere Teile der folgenden Gänge vor – Raues Interpretation der asiatischen Küche ist eine sehr opulente. Fast jeder Gang bot kräftige Schärfe, kräftige Süße und kräftige Säure. Für sich genommen ist das zumeist sehr gelungen. Wenn es aber über einen ganzen Abend hinweg bei jedem Teller immer so kräftig zugeht, wird die Sache irgendwann ein Spürchen anstrengend und repetitiv.


Am leisesten war noch der Lachs. Spitzenqualität! Nur angegart, fast noch ein halbes Sushi. Überwältigend dazu eine extrem fruchtige Buttersauce. In die war der klare Saft eines ganzen Regiments fruchtiger Tomaten eingegangen. So schmeckte sie tomatiger als das auf den Teller getupfte Tomatenkompott, das kräftig aber nicht zu kräftig mit Anis und Sternanis aufgemotzt war. Eine geniale, eher klassische Komposition, die dem Eigengeschmack des Fisches reichlich Raum ließ, wunderbar fruchtbuttrige Noten danebenstellte und mit den Gewürzen einen leicht exotischen Hauch dazu gab. Klar auf Dreisterneniveau!


Nicht so richtig mitgerissen hat mich der Kaisergranat. In einer Art Wasabi-Reisteig ausgebacken, der eine schöne Knusprigkeit und etwas zu viel Schärfe mitbrachte. Die Schärfe übertönte fast, dass der Granat nur ein Zweitligaspieler war. Da hatte der geniale Carabinero in Tonbach ein paar Wochen zuvor leider die Preise verdorben. Bei Raue war mir das Krustentier eine Spur zu mehlig und zu „fischig“. Zu loben dagegen die superbe Mango in der Sauce, die eine sehr opulente Frucht neben die Schärfe stellte. Ein wenig Karotte war auch mit drin, doch so dezent, dass ich sie nicht identifizieren konnte und erst den sehr freundlichen Maitre befragen musste, bevor es mir wie Schuppen aus den Haaren fiel. Zwischendrin wehte noch ein köstliches Korianderlüftchen über den Teller, gerade genug, um noch einen kleinen Akzent zu setzen. Insgesamt war dies aber wieder einer dieser Opulenzgänge, viel Schärfe, viel Frucht, viel Süße und viel Säure. Gut gemacht, mir wäre das ein bis knapp zwei Sterne wert gewesen.


Wir sind in Berlin, für die über den Ärmelkanal zu uns geflohenen Liberalen muss das Klischee der typischen deutschen Küche bedient werden, also gibt es als nächstes Eisbein. Und zwar vom Spanferkel. Zum Glück, denn das macht die Portion etwas übersichtlicher. Außen sehr kross, innen wunderbar zart, wenn auch mit der diesem Körperteil der Spanwutz eigenen Fetthaltigkeit. Dazu eingelegter Ingwer und japanischer Senf, irgendwo muss ja die bei Raue unausweichliche Schärfe herkommen. Unter der Sau ein Dashi-Gel, das sehr intensiv nach Fleischbrühe schmeckte und getrost als Köstlichkeit gebrandmarkt werden darf. Könnte man auch ohne Fleisch essen, so gut war das. Schlichtet man von allen Komponenten ein wenig auf die Gabel und probiert sie zusammen, dann haben wir auch hier wieder richtig viel Schärfe und Würze, wieder recht fordernd. Aber ziemlich gut. Trotzdem kann selbst ein exzellenter Koch aus einem kulinarischen Möbelwagen keinen Ferrari machen. Die Ferkelkeule blieb ziemlich rustikal und entzieht sich fast einer Sternekategorisierung, wirkte ein wenig wie ein Fremdkörper in einem solchen Tempel der Kulinarik. Müsste ich werten, wäre es vielleicht ein Stern. Nicht falsch verstehen - bekäme ich das beim Augustiner in München, wäre ich extrem glücklich. Die Erwartungshaltung in dem Lokal, das von vielen Gastrokritikern als das beste der Hauptstadt gesehen wird, ist eine andere, da suche ich nach Finesse und Kreativität.


Der nächste Gang trug obenauf immerhin Insignien der Nobelküche, Scheiben von schwarzen Trüffeln. Die dufteten so intensiv, dass das Aroma schon lange vor dem Teller am Tisch ankam und die Igeläuglein lustig zu leuchten begannen. Unter der Tuber versteckte sich ein Kalbskamm. In Reiswein mariniert, über 12 Stunden gedämpft, anschließend in heißem Fett ausgebacken. Die mühevolle Zubereitung honoriert das Kalb mit einer solchen Zartheit, dass man fast schon von Zärtlichkeit sprechen müsste. Aber dann wäre die Sittenpolizei gleich wieder da und würde es vom Tisch abhängen, das geht nicht. Also, sagen wir, es war zart. Und badete in einer Sauce, in die Raue noch einen Haufen Trüffelsplitter eingerührt hatte. Kastanien, Topinambur und ein paar Splitter Haselnuss redeten auch noch ein Wörtchen mit, gaben etwas Süße dazu und eine neuerlich sehr fordernde Intensität, diesmal vor allem über die Würze kommend. Hier war ich bei glatten zwei Sternen. Den dritten verweigerte ich vor allem deshalb, weil dem grandiosen Trüffelduft am Gaumen kaum ein Trüffelgeschmack folgen wollte. Da waren die anderen Aromen zu brachial, das nehme ich denen persönlich übel!

Weiter ging es mit den Desserts. Vorab kam ein Zitronenschaum mit Schwarzteesorbet. Versteckt unter einem Zuckerdeckel. Sehr fruchtiger Schaum, mit ein paar Kumquatstückchen, die die Säure der Zitronen noch ein wenig unterstrichen und mit bitteren Anklängen verfeinerten. Der Zuckerdeckel glich das aus, das Teesorbet reichte beiden die Hand und spielte den Klassiker Tee mit Zitrone in fester Form. Der Igel, liebe Freunde, wird alt. Er hat die Köstlichkeit einfach verdrückt und vergessen, sie mit der Kamera zu verewigen. Wahrscheinlich zu viele Nymphen im Kopf. Deswegen gibt es von diesem dreisternewürdigen Happen leider kein Foto.




Wohl aber vom Cheesecake mit Salzbutterkaramell.


Das war ein Betrüger! Denn da kam kein Kuchen, sondern eine Art Käsekuchenschaum, fluffig und leicht. Unter einer in Fischform gebrachten Hülle von weißer Valrhona-Schokolade. Recht gut, vor allem der Salzkaramell war allererste Sahne! Auch das Yuzu-Eis dazu fand ich überzeugend, angereichert mit Tupfen von koreanischer Zitronenkonfitüre. Zwei Sterne, ohne Probleme.


Als Rausschmeißer kamen noch drei Kleinigkeiten: Kalamansigelee, das ein wenig an Gummibären erinnerte. Dann frische Mandarine mit dezenter Würzung von Szechuanpfeffer, ganz witzig, wenn auch eher einfach. Und eiskonfektartige Pralinchen. Alles eher nett als mitreißend.

Ein gelungener Abend! Ich vermute, ich wäre noch euphorischer gewesen, wenn ich diese vielen geschmacklich sehr dichten Gerichte nicht an einem Tag, sondern über ein paar Wochen verteilt gegessen hätte. Einzeln ist das Meiste großartig. Geballt ist es eine Herausforderung. Raues Küche strengt mich etwas zu sehr an. Andererseits sind immer wieder Dinge dabei, die man in der Sterneküche eigentlich gar nicht vermuten würde, weil sie eigentlich zu einfach sind. Insgesamt waren das für mich ziemlich genau zwei Sterne und spielt Raue ungefähr in der Liga von Facil und Horvath. Für mich sind alle drei gegenüber dem nach wie vor überbewerteten Rutz die deutlich bessere Alternative.


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