Willis Hausbesuche: Heute: Paul Blanck, Elsass


Weh-Weh-Weh Willis Hausbesuche



Heute: Paul Blanck


Über die Taverne Alsacienne habe ich an dieser Stelle schon vor mehr als einem Jahr schwärmend berichtet. Eine Weinkarte vom anderen Stern. Mit einer sensationellen Auswahl von Elsässern und anderen Franzosen aus fast allen Anbaugebieten des gallischen Hexagons. Sehr igelfreundlich kalkuliert überdies. Oft gibt es die Flaschen fast zum aktuellen Laden- oder Weingutspreis. Man kann also nach Herzenslust bestellen und die ausgesprochen gute Küche mit ausgesprochen sehr guten Weinen begleiten, ohne dass der Dispo einem um die Ohren fliegt. Mit anderen Worten: Nüchtern habe ich dieses Lokal noch nie verlassen.

Ich habe diesen Geheimtipp lange ganz für mich behalten. Ja gut, sicher, hier im Blogg vom Scheff habe ich das Lokal erwähnt, aber hier sind wir schließlich unter uns. Nun war ich wieder mal vor Ort in Ingersheim. Nicht allein. Sondern mit den Gierschlünden. Warum ich die genau mitgenommen habe? Ich weiß es nicht! Ebenso wenig weiß ich, ob ich nach dem denkwürdigen Abend mit den Gierschlünden überhaupt noch eingelassen werde, in meine Taverne.

Wer die Gierschlünde sind? Vergesst es! Persönlichkeitsschutz! Ich sage nur, dass die aus Oberhausen, aus Dormagen-Zons, aus Bonn und aus Heisterbacherott kommen. Einige haben auch noch Ehefrauen im Gepäck. Die allerdings kaum was trinken, die werden mehr so als Vorwand mitgeführt, damit die Gierschlünde am Ende sagen können – war ja ein harmloser Abend, wir haben zu acht doch nur zehn Flaschen Wein abgeräumt.

Und so geht es dann los – man sitzt noch nicht richtig am Tisch der Taverne, da ist schon eine Flasche Champagner geordert, Initial von Selosse, man will ja nicht darben. Der ist noch nicht fertig eingeschenkt, da wird schon gestritten, welche Weißweine denn zum ersten Gang geordert werden. Der Streit dauert fast bis besagte Vorspeise schon aufgegessen ist, denn der Patron der Taverne hat den fatalen Fehler gemacht, uns acht Speisekarten und eine Weinkarte zu bringen. Vergebens versuchte ich ihm nahezulegen, dass das bei den Gierschlünden umgekehrt geht: Eine Speisekarten und acht Weinkarten braucht es. Damit sich jeder einen Überblick verschaffen, Vorschläge machen und an der Erstellung einer ersten Vorauswahl mitwirken kann. Kaum umständlicher als ein Parteitag der Piraten, und ja irgendwie auch liquid democracy. Obwohl democracy ist zuviel gesagt, schließlich wird auf dem Parkplatz des Lokals die Endauswahl mit durchgeladenen Magnumflaschen ausgeschossen. Danach kommen dann ein Clos Ste.-Hune von Trimbach aus dem Jahr 2001 und ein weißer Burgunder auf den Tisch, letzterer leider mit Weinfehler (Barriqueausbau). Von der Papierform her jedenfalls nur das Beste von der Karte der Taverne, meistens begleitet durch den Kommentar der Chefin, dies sei die letzte Flasche dieser Sorte.

Im weiteren Verlauf des Abends wird die Chefin dann zur Schraffierkünstlerin, eine Position nach der anderen kann sie von der Weinkarte streichen, weil sich die Gierschlünde im Akkord letzte Flaschen einverleiben, einen Mazis-Chambertin von Faiveley und einen Grand Cru Classé aus dem Bordelais zum Hauptgang. Wollen wir es damit bewenden lassen? Nein, natürlich nicht, da steht doch noch ein Sassicaia 1996 auf der Karte. Ist das auch die letzte Flasche? Die Patronne nickt schicksalsergeben. Also her damit, wieder ein Strich auf dem Deckel der Gierschlünde. Zum Käse und zum Dessert dann unter anderem einen 1990er Clos St.-Landelin von Muré, man gönnt sich ja sonst nichts, auch wenn der Bleistift von Madame längst zum Stummel geworden ist und die Weinkarte aussieht wie ein Streifenhörnchen.

Oh Mann, und diese Gierschlünde hatte ich an einem der nächsten Tage zur Weinprobe bei Paul Blanck angemeldet. Schnell noch mal nachtelefoniert und Warnhinweise durchgegeben. „Geht klar“, meinte die Patronne, „wir schicken unsere Geheimwaffe, Monsieur Philippe! Der ist noch mit allen fertiggeworden!“

Als wir am Gut eintrafen war Monsieur Philippe aber noch im Weinberg. Sein Onkel verwöhnte uns derweil mit den Gutsweinen und dem einen oder anderen traditionellen elsässischen Trinkspruch. Und dieser Auftakt war schon nicht schlecht.

  1. Silvaner Vieilles Vignes 2008
    Nase schon recht reif, etwas in die oxidative Richtung gehend, viel Würze und eine gewisse Mineralität sind aber auch mit dabei. Am Gaumen sehr knackige Säure, viel Apfel, etwas muskatige Würze, alles andere als oxidativ. Insgesamt eher leicht, viel Säure, fast einen Hauch zu viel Säure im Abgang. Mit etwas mehr Luft kommen dann aber noch feine Blütentöne hinzu und gewinnt der Wein an Komplexität, vielleicht sollte man ihn noch einmal über einen ganzen Abend hinweg verkosten. 82 von 100 Willipunkten.

  2. Pinot Blanc 2011
    Schöne Weißburgundernase, würzig, muskatig mit zarten Kräutertönen. Am Gaumen verspielt, jugendlich-frisch, erstaunlich fruchtbetont für einen Weißburgunder. Schöner Nachhall, der kann schon etwas für einen Gutswein. 86 von 100 Willipunkten.

  3. Pinot Auxerrois Vieilles Vignes 2009
    Eher verhaltene Nase, ein wenig wurzelholzig, obwohl der Wein kein Holz gesehen hat, eher diffuse Frucht. Am Gaumen deutlich mehr Gehalt, ölig, dickflüssig, viel Alkohol, der hinten ein wenig sticht, aber auch mit schönen floralen Noten unterwegs. 82 von 100 Willipunkten.

  4. Riesling 2011
    Schöne, ein wenig verhaltene Rieslingnase, sehr duftig. Von der Nase her vermutet man einen Süßwein im Glas. Am Gaumen aber restlos trocken, insgesamt habe ich über die gesamte Probe hinweg den Eindruck, dass Blanck etwas weniger Restzucker stehen lässt als noch in den neunziger Jahren und Anfang der nuller Jahre. Relativ voll, schönes Spiel von Mineralik und Frucht, dabei viel Saft und auch mit ordentlicher Säure ausgestattet, was im warmen Jahr 2011 nicht jeder Elsässer hinbekommen hat. 87 von 100 Willipunkten.

  5. Riesling Patergarten 2009 (Kiesboden)
    Nase zunächst ein wenig unsauber wirkend, leicht nasse Pappe, das gibt sich mit Luft ein wenig. Hier rächte es sich, dass ich die Gierschlünde als solche avisiert hatte, der Onkel von Monsieur Philippe schenkte so schnell den nächsten Wein ein, dass man nicht richtig verfolgen konnte, wie sich die Nase weiter entwickelt. Am Gaumen jedenfalls zunächst auch mit diesem leicht unsauberen Ton im Gepäck, dort aber verhaltener, da stehen die leicht salzige Mineralität und würzige Kräuternoten im Vordergrund. Muss ich nachprobieren, so um die 85 von 100 Willipunkten.

  6. Riesling Schlossberg 2009 (Granitboden)
    Volle, sehr reife Nase, brüderlich geteilt zwischen Mineralität und Rieslingfrucht. Am Gaumen feine Süße, sehr voll und erstaunlich komplex, denn wir sind ja noch immer nicht in der Grand Cru Liga des Gutes angekommen. Mir fehlt hier ausnahmsweise ein Gramm Säure, hinten bleibt ein Zuckerschwanz, den der Wein nicht wirklich braucht. Ehe ich aber zu hofschustern anfange – ja, das ist und bleibt ein feiner Wein, ausgesprochen lang, voll und komplex, erst ab Mitte des Abgangs verschlankt er sich ein wenig und hinterlässt dann eben den Zuckerschwanz. 88 von 100 Willipunkten.


Das war dann der Moment, in dem Monsieur Philippe eintraf. Er überzeugte sich kurz noch vom ordnungsgemäßen Zustand der Gierschlünde, kontrollierte unseren Füllstand, sah, dass es gut war und startete sodann einen unglaublichen Parforceritt durch zwanzig Jahre Weingutsgeschichte.


  1. Riesling Fürstentum 2005 (Muschelkalk)
    Schon mit erster Reife in der Nase, ganz leichte Firne, noch kein Petrol, druckvoll, sehr reif, ein Hauch Botrytis scheint auch mit durch den Gewürzprüfer zu streichen. Am Gaumen bestätigt sich das in einem dezenten Karamellton, schöne Reifenoten, nussig, nur wenig Süße, deutlich weniger als 1995 oder 1997, etwas weniger sogar noch als in den legendären Jahrgängen 1989, 1990, 2001. Gute Länge. Wirkt erst fast ein wenig leicht, kommt mit Luft aber unglaublich, wird komplexer und entfaltet sich zu genau dem Fürstentum, der mir das Gut seit zwanzig Jahren so lieb sein lässt. Schön langer, nussiger Abgang. 90 von 100 Willipunkten.

  2. Riesling Sommerberg 2008
    Komplexe apfelige Nase, ein wenig oxidativ anmutend, mürber Apfel, sehr kräftig und nachhaltig. Am Gaumen schönes Spiel, Apfel, Melone, Kräuter, kräftige Säure, im Abgang etwas schlanker aber lang und sehr fein. 89 von 100 Willipunkten.

  3. Riesling Wineck-Schlossberg Grand Cru 2009
    Volle Nase, fast ein wenig breit, anbiedernd, auch etwas likörig, als hätte er mehr Restzucker. Hat er auch, am Gaumen merkt man es, statt der rund 2 Gramm, die mittlerweile weingutsüblich sind, bringt der Grand Cru 7 Gramm mit. Davon lebt er auch am Gaumen, ein ganz klein wenig nimmt ihm die Süße allerdings die Eleganz, das wirkt zwar kräftiger aber auch etwas breiter als der Fürstentum und der Sommerberg. Saftig ist er natürlich und auch richtig, richtig lang. 88 von 100 Willipunkten.

  4. Riesling Furstentum vieilles vignes 2007
    Wundebare Botrytisnase, opulent und ausdrucksstark, aber bei dem immerhin schon sechs Jahre alten Wein nicht dominant, nicht die Frucht erdrückend, perfekt balanciert. Auch am Gaumen ein feines Gesamtkunstwerk von Botrytis und Frucht, mandelige Noten im Anklang, Haselnuss, aprikosige Frucht, selten passt die eigentlich wenig aussagekräftige Weinkartenlyrik „ausdrucksstark“ so gut wie bei diesem Wein mit seiner sehr eigenen Persönlichkeit. Unheimlich lang und dabei sehr viel Charme. Dicht und komplex. 92 von 100 Willipunkten.

  5. Pinot Gris Wineck-Schlossberg Grand Cru 2007
    Sehr botrytische Nase, was mir zum Grauburgunder meist nicht sonderlich gut gefällt. So auch hier, die ölige Würze der Rebsorte und der Honig der Botrytis zusammen sind einfach eine Spur zu viel für einen jungen Igel. Ist aber Geschmacksache. Die Gierschlünde tanken so was natürlich weg wie Biosprit. Na gut, man muss zugeben, mit Luft wird das feiner, rosiniger und nussiger, jetzt wird es ein echter Blanck, ölig, voll und komplex. Prima Länge. 91 von 100 Willipunkten.

Jetzt verabschiedete sich Monsieur Philippe für einen Moment. „Ich habe noch zwei Weine für Euch, vorher muss ich Euch aber noch einen anderen zeigen, den habe ich im anderen Keller, das braucht zehn Minuten.“ Das Warten lohnte sich, denn plötzlich stand auf dem Tisch ein

  1. Riesling Schlossberg Vieilles Vignes 1985
    Gibt es natürlich nicht mehr zu kaufen. Dass diese Rarität geöffnet wurde, war eine reine Hommage an die Gierschlünde. Die im Laufe der Zeit gelernt haben, dass ihr schier unersättliches Appetenzverhalten noch weitaus reichlicher belohnt wird, wenn sie durch periodisches Fallenlassen von aus dem Eichelmann abgeschriebenen Fachausdrücken Kompetenz simulieren. Mit anderen Worten: Monsieur Philippe begann Spaß an der Sache zu finden. Und etwas Besseres hätte uns nicht passieren können, denn was da ins Glas kam, war vom Duft her eine großartige Rieslingauslese, nur ganz leicht firnig. Etwas Tabak war auch dabei, wahrscheinlich einem Spürchen Botrytis geschuldet, das in den Wein eingegangen sein mag. Am Gaumen stellt man dann fest, dass es sich um eine trockene Auslese handelt. 6 Gramm Restzucker dürfte der Wein haben, meinte Monsieur Philippe. Und das war der Moment, die Hüte abzunehmen (habe ich erwähnt, dass einer der Gierschlünde einen Hut zu tragen pflegt, der verdächtig an den sich unterhaltenden Pelzig erinnert?) und in Andacht zu verfallen, denn eine trockene Auslese, die 28 Jahre so lässig wegdrückt, das können nur ganz wenige Winzer! Die Säure, die kalkige Mineralität, das Haucherl Botrytis, alles ist noch da, alles hat sich grandios zu einem fast unsterblichen trockenen Riesling bester Bauart verbunden. Im Abgang auch mandelig und rosinig. Riesengroß, 93 von 100 Willipunkten.

Na ja, und bevor es dann die beiden letzten Weine gab, meinte Monsieur Philippe, müssten wir natürlich auch noch die Gewürztraminer versuchen. Da habe er auch noch zwei vorrätig, meinte Monsieur Philippe und verschwand schon wieder im Keller.

  1. Gewurztraminer Altenbourg 2007 (Kalk und Lehm)
    Dicke Gewürztraminernase, erst fast seifig, so rosenblütenblättrig schmeißt er sich an die Rezeptoren ran. Mit Luft wird das sofort dezenter und differenzierter. Ja, nach zehn Minuten kommt sogar eine kreidig-kalkige Mineralität heraus, die man nur in wenigen Traminern durch die florale Würze wahrnehmen kann. Am Gaumen auch erst auf der etwas volleren, fast parfümierten Seite, doch auch hier wiederholt sich das Spiel aus dem Gewürzprüfer, das geht weg, wird vielschichtiger, mineralischer. Dicht, wirkt ein wenig süßer als er mit seinen 8 bis 9 Gramm Restzucker ist, das liegt wohl daran, dass er nur 5,5 Gramm Säure mitbringt. Dicht, schönes Spiel, langer, sehr voller und runder Abgang. 90 von 100 Willipunkten.

  2. Gewürztraminer Mambourg 2007
    Ein ganz anderer Wein, mit nur einem Anflug von Gewürztramineropulenz in der Nase. Da steht die unglaubliche Mineralität im Vordergrund und eine frische, fast zitronige Frucht. Am Gaumen dann doch gewürztraminertypischer, die Mineralität äußert sich hier vor allem in einer deutlichen salzigen Fußnote. Schöne Fülle! 88 von 100 Willipunkten.

„Na ja, weil Ihr es seid“, murmelte Monsieur Philippe, „irgendwo habe ich da noch einen Gewürztraminer, den sollten wir schon auch noch aufmachen, bevor es dann die beiden letzten Weine gibt.“ Same procedure as every wine, Abgang Monsieur Philippe gen Kühlung, Aufmarsch neue Flasche. Die Gierschlünde erreichten langsam schon einen Aggregatzustand, den man auch als „spundvoll“ bezeichnen könnte.

  1. Gewürztraminer Fürstentum Vendanges Tardives 2009
    Irgendwie beeindruckend, wie sich die Fürstentumnase hier gegen die Rebsorte durchsetzt. Kann man lange drüber streiten, ob das das pure Terroir ist oder der spezielle Ausdruck, den eben die Blancks dem Fürstentum verleihen. Ist mir letztlich auch egal, entscheidend ist, dass ich auch hier wieder diese Fülle im Näschen habe, diesen leicht botrytischen Hauch, diese Süßlichkeit, die ich auch vom Riesling aus diesem meinem Lieblingsweinberg der Blancks so schätze. Natürlich geht der trotzdem nicht als Riesling durch, dafür ist der Rosenton zu deutlich, der da auch noch mitschwingt. Aber eben so wunderbar dezent. Am Gaumen kommt die Rebe deutlicher heraus, steht aber mindestens gleichberechtigt neben einer feinen Mineralik und der sehr präsenten aber nicht erschlagenden Süße, die eine Vendange Tardive haben darf, ja eigentlich muss. Wunderbar dicht gewebt, mundfüllend und mit viel Druck im Abgang.
    Monsieur Philippe war trotzdem nicht zufrieden. „Nee, nee, nee, der ist sonst besser. Die Flasche ist ja auch schon drei Tage offen. Ich hol mal noch eine.“ Die Gierschlünde grinsten so breit, dass die Ohren ungelogen in den Mundwinkeln verschwanden. Eine kostenlose Zugabe, hurra! Und tatsächlich, die zweite Flasche setzte noch mal einen drauf, noch frischer und voller, zwei Willipunkte mehr. Damit waren wir dann bei 92 von 100 Willipunkten.

„Als vorletzten Wein habe ich jetzt noch einen, den gibt es schon lange nicht mehr, der ist ausverkauft“, meinte Monsieur Philippe. Und wieder war er weg, zum anderen Keller des Weinguts. Bei uns kam langsam der Verdacht auf, dass er mit dem Patron der Taverne befreundet sein könnte. Und von dem angestachelt worden war, mal zu testen, wie lange wir durchhalten und wann den ersten die Eichelmannzitate ausgehen. Noch aber herrschte das breite Grinsen, jetzt in der 360 Grad-Ausprägung, die ersten Mundwinkel trafen sich am Hinterkopf. Dann stand plötzlich der Wein auf dem Tisch, ein

  1. Riesling Fürstentum Vieilles Vignes 1995
    Na, da waren wir in den Jahren, in denen das Gut deutlich mehr Süße hat stehen lassen und auch mehr Botrytis in die Weine gepackt hat. Sehr reife Nase, wirkt älter als der 1985er Schlossberg, wer hätte das gedacht. Tabak, Honig, typisch Botrytis eben, sehr reif, sehr harmonisch. Am Gaumen noch frischer, nussige und mandelige Töne. Insgesamt schöne Fülle, feines Spiel, besticht zugleich aber auch mit krachendem Extrakt und Power ohne Ende. Schon sehr gereift, hätte mir wahrscheinlich vor zwei Jahren noch etwas mehr zugesagt. Dennoch auch in der Form ohne Weiteres 89 von 100 Willipunkten wert.

„Na ja, dann kommt jetzt der Letzte“, meinte Monsieur Philippe, „obwohl, einen Allerletzten hätte ich danach noch, wenn ich den noch finde.“ Erstmal kam aber der letzte, der für mich der Höhepunkt dieser phantastischen Verkostung war.

  1. Riesling Fürstentum Selection de Grains Nobles 2007
    Durchaus botrytische aber von der Botrytis nicht überladene Nase, erst noch recht knapp, das ist ein Jungspund, der sich entfalten muss. Dann lässt er die Kupplung kommen – schöne rosinige, rumtopfige Noten, konfitierte Aprikose, unglaublich fein, alles andere als breit. Am Gaumen Vollgas, Extrakt ohne Ende, seine 160 Gramm Restzucker lächelt er weg wie nichts, da steht ein Fuder Dörraprikosen im Raum, dazu frischere Fruchtnoten, viel Saft, leicht haselnussige Noten, schöne Säure, sogar mineralische Töne bringt der noch an seine dickflüssige Oberfläche. Ewig lang, dicht, großes Kino!!! 95 von 100 Willipunkten.

„Ich sagte es ja schon, einen hätte ich noch“, Monsieur Philippe lächelte und wartete, ob wir spontan zu schunkeln anfangen würden. „Schie müsschen ihn unter die Schunge kriegen“ tönte es von den Gierschlünden, „dann entfaltet er sein volles Bouch…, Boud…, na ja, Aroma halt!“ Und unter die Schunge kam der

  1. Riesling Fürstentum Selection de Grains Nobles 1997
    Natürlich ist auch dieser Nektar längst ausverkauft. Monsieur Philippe fand aber, dass wir ihn unbedingt mir dem 2007er vergleichen müssten. Selten habe ich einen so großzügigen Winzer erlebt!
    Unglaubliche Rosinigkeit in der Nase, sehr reife Botrytis, aber durchaus noch mit Frucht und Mineralität unterwegs. Am Gaumen bestätigt sich das, die Botrytis ist nicht Leitmotiv, sondern ein Spieler unter vielen. Sie zeichnet wohl für die seltsame Assoziation von Haselnussmakronen verantwortlich, die uns plötzlich in den beschwingten Köpfen herumtanzte. Auch einen Hauch Kastanie konnte man finden, daneben granitige Noten, eine schöne Dörraprikosenfrucht und vor allem unendlich viel Charme. Was für ein Wonneproppen, der wird mit Luft immer noch besser, noch voller und vor allem noch harmonischer. Viel Druck und Fülle im Abgang. Groß!
    Das Gute hat nur einen Feind, das Bessere – und so muss man am Ende sagen, dass der 2007er noch eine Spur stärker war. Dennoch auch für den 1997er 93 von 100 Willipunkten.

Die ersten Gierschlünde lösten schon mühsam ihre vier Buchstaben von den hölzernen Stühlen des Verkostungsraumes, da machte Monsieur Philippe eine besänftigende Handbewegung. Ein gestisches „Moooment“, könnte man sagen. „Wir könnten mal beim 1988er nach dem Rechten sehen, wie der sich so entwickelt hat. Was meint Ihr?“ Wir meinten, dass man das durchaus könne, eigentlich auch solle, wenn nicht müsse, und schwupp entschwand Monsieur Philippe schon wieder. Und kam mit dem nächsten allerletzten Wein der Probe zurück.

  1. Riesling Fürstentum 1988
    Nun waren wir wieder in der Liga der einfachen Fürstentümer, also ohne Vendanges Tardives oder gar Selection de Grains Nobles. Aber das macht die Klasse dieser Weine aus, es fiel nicht schwer, sich von den 160 Gramm Restzucker wieder auf die 5 oder 6 Gramm hinunterzutrinken. Vor allem in der Nase überzeugte der 1988er auf voller Linie. Kräuter ohne Ende, alles andere als müde, charmant und balanciert, kühl, fein, elegant. Am Gaumen dann aber doch schon ein wenig gezehrt, leider ein paar Takte über den Punkt, deutlich firnig, auch mit Petrol im Gepäck. 85 von 100 Willipunkten, aber das waren sicher auch mal um die 90.

„Das ist ja kein Ende für so eine Probe“, meinte Monsieur Philippe und zog unter dem Tisch noch eine Flasche heraus.

  1. Riesling Fürstentum 1994
    Ein prächtige Kräuternase, nur sehr wenig Botrytis, sehr klar, sehr dicht, noch mit reichlich Frucht. Am Gaumen auch erst voll auf den Kräuternoten, ganz anders als man das sonst so vom Fürstentum kennt. Doch dann schält sich die kalkige Mineralität heraus, eine knackige Säure, getrocknete Aprikosen und vor allem die Finesse, die durch den kleinen Klecks Honig noch verspielter wirkt, den die Botrytis in die Mitte des Gaumens meißelt. Ein Meer von Mineralität, extrem dicht und vielleicht der längste Wein der Probe. Sehr harmonischer, druckvoller Abgang. 94 von 100 Willipunkten. Natürlich auch längst ausverkauft.

Tja, da war erstmals (und letztmals auf dieser Reise) der Moment gekommen, wo die Gierschlünde die Waffen gestreckt und die Verkostung weiterer Weine wahrscheinlich abgelehnt hätten. Was natürlich sehr unhöflich gewesen wäre. Monsieur Philippe spürte das genau und behütete uns vor diesem faux pas, indem er sagte, „das war jetzt wirklich der letzte Wein. Was hat das Spaß gemacht, mit Euch, vielen Dank!“ Das muss man auch erst einmal erleben, ein Winzer, der sich einen Schatzkammerschatz nach dem anderen von der Seele reißt und sich dann noch dafür bedankt, dass wir diese tolle Zeitreise mit ihm unternommen haben. Selbst der Oberhausener konnte hier nicht mehr meckern und dankte artig zurück.

Nur einer blieb unglücklich. Das Auto vor der Tür, denn es bekam jetzt eine richtig fette Zuladung.

Fazit: Das Weingut hat seine Stilistik über die letzten fünf bis zehn Jahre wieder etwas trockener ausgerichtet, die Botrytis in den Weinen unterhalb der Selection de Grains Nobles deutlich reduziert und damit tendenziell noch langlebigere Weine gefüllt als zwischen 1995 und 2004. Ein wenig ist das back to the roots, denn so waren einst auch die 1985er, 1989er und 1990er. Insgesamt entwickelt sich die Qualität noch weiter nach oben, es verwundert nicht, dass Blanck in den letzten Jahren unter den Elsässer Weinen ganz klar zum Liebling der französischen Weinjournalisten aufgestiegen ist. Bei der Selection de Grains Nobles setzt man den qualitativen Höhenflug der letzten Jahrzehnte nahtlos fort.


Dem generösen Winzer sei auf diesem Wege noch einmal für ein einmaliges Probenerlebnis gedankt und den Gierschlünden für die erforderliche satirische Überhöhung Abbitte geleistet.

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