Willi Igel testet Gallo Cabernet Sauvignon



Weh-Weh-Weh Willis Wein Werkstatt

Heute auf der Hebebühne: Ernest and Julio Gallo Frei Ranch Vineyard „Single Vineyard“ 1995 Cabernet Sauvignon, Dry Creek Valley, Sonoma County

Die Bahn AG ist dialektisch nicht mehr voll auf der Höhe, fürchte ich. Es fing ja alles an mit der Wagenreihung. Die stand früher mal am Wagenstandsanzeiger ausgeschildert und dann wusste man wo der Wagen so ungefähr zu stehen kommen würde, für den man seine Platzkarte gekauft hatte. Bis dann vor einigen Jahren die Bahn mit diesen Durchsagen begann. „Der Zug verkehrt heute mit abweichender Wagenreihenfolge“. Na gut, Ausnahme von der Regel, kann mal vorkommen. Ein serviceorientiertes Unternehmen würde vielleicht noch mit ansagen, in welcher Reihenfolge die Wagen denn statt dessen heute hinter der Lok aufgefädelt sind, aber, hey Leute, wir reden hier von der Bahn, also gibt’s das natürlich nicht.

Nur dummerweise ist bei den ICEs inzwischen die Ausnahme zur Regel mutiert. Will man von Köln nach Frankfurt fahren, wird in etwa 72 Prozent der Fälle der Zug in abweichender Wagenreihenfolge verkehren. Bahn, Ihr Spaßgranaten, merkt Ihr was? Die abweichende Reihenfolge ist gar nicht mehr die abweichende. Jedenfalls nicht im Sinne einer Regel-Ausnahme-Betrachtung. Vielleicht solltet Ihr also Eure Durchsagen anpassen – „Vorsicht, der Zug verkehrt heute wie üblich wieder in der normalen Reihenfolge, also nicht in der an den Wagenstandsanzeigern ausgeschilderten.“ Und: „Achtung, der Zug fährt heute in abweichender Wagenreihung, also ausnahmsweise einmal so wie ausgeschildert!“

Damit nicht genug, die Bahn hat ja auch Fahrkartenautomaten. Bei uns in Bonn-Mehlem zum Beispiel steht einer. Auch da kam ich heute ins Grübeln. Weil der nämlich fast immer anzeigt, dass er defekt ist. So dass man vermuten muss, dass die eigentliche Funktion des Automaten gar nicht im Auswerfen von Fahrkarten besteht, sondern in der Defektanzeige selbst. Und da spätestens wird’s philosophisch. Ist ein Gerät denn überhaupt defekt, wenn die eigentliche Aufgabe darin besteht, den eigenen Defekt anzuzeigen? Müsste das Gerät nicht gerade dann anzeigen, dass es defekt ist, wenn es ausnahmsweise einmal als Fahrkartenverkaufspunkt funktioniert? Weil dann ja die eigentliche Funktion als defekt-Anzeige gerade nicht funktioniert? Und ist es nicht eine glatte Lüge, den eigenen Defekt zu behaupten, wenn die Defektanzeige die Regelfunktion ist und demnach gar kein Defekt vorliegt? Hmm, alle Kreter lügen, aus der Denkschleife kommt der Grube frühestens wieder heraus, wenn Stuttgart 21 fertig gestellt und der Münchner Hauptbahnhof näher an Bayern, an die bayerischen Städte herangerückt ist.

Wobei, jetzt könnte einer ja auf die Idee kommen und die Sinnfrage stellen. Also so etwa in dem Sinne, ob die Bahn nicht in Wahrheit doch Fahrkarten verkaufen will und nur einfach so kotzgrottenschlecht ist, dass sie ihre Automaten bloß jeden fünften Sonntag im Monat einmal ans Laufen kriegt. Aber das wäre zu einfach, denn die Defektanzeige ist ja verbunden mit dem Hinweis, man möge den Defekt bitte über eine gebührenpflichtige Hotline telefonisch melden. Und das ist doch eine raffinierte Nummer – die deutsche Obrigkeitsliebe wird schon dazu führen, dass da hunderte am Tag durchklingeln. So dass man also neben den Einnahmen aus dem erhöhten Beförderungsentgelt, das man denen abnimmt, die wegen des defekten Automaten notgedrungen zu Schwarzfahrern geworden sind, auch noch die Telefonkohle einsackt. Ganz ohne Gewinnspiel mit sinnfreien Fragen und ohne dass sich dafür im Nachtprogramm einer die Seele aus dem Leib schreien und Buchstaben verkaufen muss.

Kurzum, liebe Leute, die Bahn hat doch ein Rad ab. Das erklärt auch Eschede damals…

Überhaupt, immer dieser Etikettenschwindel! Gibt’s ja nicht nur bei der Bahn und bei der Lasagne. Die Gallos machen das auch. Die kennt man doch eigentlich nur als Abfüller einer Cola-artigen Billigplempe. So ein Gallo-Etikett ist fast so etwas wie eine Defektanzeige – sorry, diese Flasche ist mit der derzeitigen Befüllung leider nicht in der Lage, trinkbaren Wein auszuschenken. Bitte melden Sie das unter der gebührenpflichtigen Hotline dem nächstgelegenen Bio-Eier-Erzeuger!

So staunte ich nicht schlecht, als mir der Scheff neulich eine Pulle Gallo in die Hand drückte und meinte, das sei mal etwas Besonderes aus dieser kalifornischen Fabrik. Und, ja, das duftet ja schon mal gar nicht so übel! Kräutrig-mineralische Einschläge finden sich da, Schlehen, Ginster, Macchia, cabernetige Paprika, auch eine gute Schaufel teerige Mineralität. Mit etwas mehr Luft kommt auch noch eine rumtopfige Komponente hinzu, die für den Gaumen eine recht satte Süße verheißt. Insgesamt kräftiger Duft, tief und satt, eher fein als neuweltig-kompottig. Mit mehr Luft wird die Geschichte immer mineralischer, plötzlich steht da fast eine Bordeauxfanfare in meinem Riechkolben, erinnert ein wenig an Las Cases.

Am Gaumen schöne Fruchtsüße im Anklang, fein, verspielt, rotbeerig, dahinter auch mit reifer, leicht süßlicher Heidelbeere unterwegs. Saftig, fein, das ist fast so etwas wie ein burgundischer Bordeaux. Weil zwar cabernetig und mit noch immer recht prägnanten, feinen, reifen Tanninen unterwegs, dahinter aber auch schon mit Waldboden und unterholzigen Reifetönen. Bei der Länge gibt es einen kleinen Abstrich, da macht er im Abgang eine kleine Abmagerungskur, zurücktreten von der Bahnsteigkante, Blitz-Diät, schwupp schnallen die Rezeptoren den Gürtel drei Löcher enger. Aber wunderbar elegant ist das Ganze schon, mit einer prima Balance zwischen Fruchtsüße, Säure, Würze und Mineralität. Vor allem in der Mitte ist er am Gaumen für zehn, zwanzig Sekunden fast perfekt und wirkt wie ein ziemlich großer Bordeaux aus 1995 oder 1996. Perfekt auch der Alkohol, mit 13,5 Prozent endlich mal wieder ein Neuweltler ohne Marmelade und Killersprit. Viel balancierter als reine Cabernets es ansonsten gerne einmal sind, die Aromen verkehren heute in umgekehrter Reihung. Kommt mit Luft ungefähr eine halbe Stunde lang noch weiter und weiter aus der Deckung, wird weicher und intensiver, ehe dann plötzlich die Oxidation einsetzt und ihn hinten ein wenig wegwelken lässt. Da wirkt er dann eher wie ein Bordeaux aus den Sechziger als wie ein Las Cases aus den Neunzigern.

90 von 100 Willipunkten.

Kommentare

Jessica Klein hat gesagt…
... und du hast gut getestet

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